Wilhelm Friedemann Bach

Wilhelm Friedemann Bach

In einer kleinen Serie soll nach und nach über Leben und Werk des Musikers berichtet werden, der die letzten 10 Jahre seines Lebens in Berlin verbrachte, auf dem Luisenstadt-Kirchhof begraben wurde und der Namensgeber unseres Orchesters ist.

Johann Sebastians ältester Sohn, Wilhelm Friedemann, gilt als der begabteste der vier Bachsöhne. Zumindest war er der erklärte Liebling seines Vaters. Seine Ausbildung - zunächst in Köthen und Leipzig - und sein Werdegang, der ihn von Dresden nach Halle führte, lagen Johann Sebastian besonders am Herzen. Friedemann war aber auch unter seinen Brüdern die schillerndste und am wenigsten angepasste Persönlichkeit. Er hinterließ ein, gemessen an seinen Fähigkeiten, eher schmales CEuvre. Mit zunehmendem Alter führte er ein unstetes Leben und geriet mehrfach mit seinen Zeitgenossen in Konflikt. Man könnte vermuten, er habe viel von der schwierigen Persönlichkeit seines Vaters geerbt. In jedem Fall aber war die Vater-Sohn-Bindung bei ihm ausgeprägter als bei den anderen Kindern.

Wilhelm Friedemann Bach wurde am 22. November 1710 in Weimar geboren und zwei Tage darauf getauft. Außer dem Eintrag ins Taufbuch der Weimarer Stadtkirche haben sich aus seinen ersten Lebensjahren keine Dokumente erhalten, die nähere Auskunft über die Kindheit geben könnten.

Im Mai 1723 zog  die Familie Bach von Köthen nach Leipzig und im Juni wurde Friedemann mit Emanuel in die Thomasschule aufgenommen. Der Thomaskantor Bach bezog seine Dienstwohnung im Schulgebäude, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgerissen wurde. Die Schule war der Thomaskirche angegliedert und schloss sich im rechten Winkel gleich an das Gotteshaus an. Friedemann lernte Griechisch und Latein und las die Klassiker im Original. Doch standen neben der humanistischen Ausbildung auch Fächer wie Geschichte, Geografie und Mathematik auf dem Lehrplan, die für eine umfassende Bildung sorgten. Vier erhaltene Schulhefte, die Friedemann zwischen 1723 und 1727 in Gebrauch hatte, geben einen Einblick in seinen Schulalltag. Sie wurden vor Abbruch des Schulgebäudes im Jahr 1902 in einer Tapetenfütterung aufgefunden. Das erste Heft, dem Friedemann den Titel »Liber Proverbiorum« gab, also „Buch der Sprichwörter“, enthält einige lateinische Sprüche in zum Teil sehr freien Übersetzungen des Thomasschülers. Später fertigte er Übersetzungen nach Diktaten und Briefübungen am. Zwei weitere Hefte aus den Jahren 1725 und 1727, die teilweise als Schmierhefte benutzt wurden, enthalten auch einige interessante zeichnerische Eintragungen, wie zwei Köpfe im Profil, die Friedemann wahrscheinlich während des Unterrichts anfertigte. Aus den Heften geht hervor, dass er ein begabter Schüler gewesen sein muss, der aber weder besonders fleißig noch ausgesprochen ausdauernd seine Studien betrieb. Im Lateinischen zeigte er überdurchschnittlich gute Leistungen, sein Griechisch war dagegen nur mittelmäßig.Erstes Zeugnis der musikalischen Ausbildung Friedemanns gibt eine Sammlung kleiner Klavierstücke, die in Köthen entstand und unmittelbar aus Johann Sebastians Unterricht hervorgegangen ist: das »Clavierbüchlein vor Wilhelm Friedemann Bach. angefangen in Cöthen den 22. Januarii, A[nn]o. 1720«. Die meisten der darin enthaltenen Kompositionen stammen von Vater Bach, aus den unterschiedlichen Handschriften lässt sich jedoch ablesen, dass Friedemann an der Niederschrift beteiligt war. Einiges mag sogar von Friedemann selbst komponiert worden sein. Der kaum Zehn­jährige stellte damit seine hohe Fertigkeit unter Beweis. Die eigens für die Studien Friedemanns zusammengestellten Stücke des »Clavierbücheins« zeigen, dass er im väterlichen Unterricht schnell Fortschritte machte. Unter ihnen befinden sich so bekannte Werke wie die Inventionen und Sinfonien (BWV 772-801) -sie gehören bis heute zum Standardrepertoire des Klavierunterrichts; daneben sind einige Präludien des »Wohltemperierten Claviers« in Frühfassungen und weitere kleine Präludien, Tanzsätze und Stücke anderer Komponisten aufgezeichnet. Vermutlich hat Bach diese Stücke im Unterricht mit anderen Schülern, seine jüngeren Söhne eingeschlossen, weiterverwendet. Ursprünglich wollte er damit seinem ältesten Sohn Friedemann die bestmögliche Ausbildung zukommen lassen.
Thomas-Kirche Leipzig
Schuljahre

Vater Bach achtete darauf, dass seine ältesten Söhne neben einer profunden Ausbildung auf dem Klavier und der Orgel auch die Geige beherrschen lernten. In der Zeit von Juni 1726 bis April 1727 erhielt Friedemann daher Violinunterricht bei dem berühmten Geiger Johann Gottlieb Graun in Merseburg, dem späteren Konzertmeister des Berliner Opernorchesters und Mitglied der Hofkapelle Friedrich des Großen. Johann Sebastian ermöglichte Friedemann - wie auch seinen anderen Söhnen - eine umfangreiche musikalische Ausbildung. Im Klavierspiel und in der Komposition konnten sie bei niemand anderem so viel lernen wie bei ihrem eigenen Vater. Darüber hinaus erhielten sie durch den Besuch der Leipziger Thomasschule und ihre anschließenden Universitätsstudien, die nur der jüngste Sohn Johann Christian nicht aufnahm, eine umfassende Allgemeinbildung. Im Gegensatz zu seinen Söhnen hatte Johann Sebastian selbst in seiner eigenen Kindheit weder von seinem Vater noch nach dessen Tod von seinem älteren Bruder viel lernen können. Er war früh auf sich gestellt und eignete sich somit vieles selbst an. Um große musikalische Vorbilder studieren zu können, musste er weit reisen. Seine erste Stelle trat er schon mit 18 Jahren an, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Eine Universität hat er niemals besucht. Vielleicht wollte Bach auch aus diesen Gründen seinen Söhnen all das ermöglichen, was ihm selbst versagt geblieben war.

Begegnung mit Händel und wissenschaftliches Studium
Im Sommer 1729 schickte Johann Sebastian seinen ältesten Sohn Friedemann ins nahe gelegene Halle, als er erfuhr, dass Georg Friedrich Händel sich dort aufhielt. Friedemann überbrachte Händel eine Einladung Johann Sebastians, ihn in Leipzig zu besuchen, die dieser aber nicht annahm. Unklar ist, warum Vater Bach nicht selbst dorthin reiste, um seinen berühmten Kollegen kennen zu lernen. Entweder wollte er Händel nur voller Stolz seinen Sohn vorstellen oder er war tatsächlich durch Krankheit verhindert, wie es in der Überlieferung heißt.
Händel

Als Friedemann nach Halle reiste, war er bereits seit März 1729 Student der Leipziger Universität. Schon sechs Jahre zuvor hatte sein Vater ihn dort für das Studium vormerken lassen, um «Friede«, wie der Vater ihn liebevoll nannte, mit seinen guten Leistungen frühzeitig den Besuch einer Hochschule zu ermöglichen. In den »Historisch kritischen Beyträgen zur Aufnahme der Musik« von 1755 schildert der Musikschriftsteller Friedrich Wilhelm Marpurg, was Friedemann bis 1733 an der Universität lernte:
»... schritte er zu den höhern Wissenschaften auf der Universität Leipzig, allwo er unter den Herren Professoribus Jöcher und Ernesti die Philosophie und insbesondere unter dem verstorbenen Hrn. D. Rüdiger die Vernunftlehre studirte. Ueber die Institutiones hörte er die Herren D. Kästner und D.Joachim, und bey diesem leztern besonders die Pandecten (=Zusammenstellung aus den Werken römischer Rechtsgelehrter); bey dem Hrn. D. Stieglitz das Wechselrecht, und bey den Herren Professoribus Haussen und Richtern die Mathematik.« Hinter diesen Zeilen wird übrigens Friedemann selbst als Autor vermutet, der auf Marpurgs Wunsch seine eigene Biographie für die «Kritischen Beyträge« anfertigte. Friedemann legte großen Wert auf seine Universitätsbildung. Zusammen mit seinem Bruder Emanuel war Friedemann aber auch lange Zeit Sekretär des Vaters, der seine beiden Söhne mit verschiedenen Aufgaben betreute, durch die sie in den Alltag des Musikers eingeführt wurden. Eine davon war die Herstellung von Aufführungsmaterialien, also das handschriftliche Kopieren von Noten wie etwa der Stimmen zur h-moll-Messe, frei nach dem Motto: Studieren durch kopieren!

Universität Leipzig

Friedemanns Dresdner Karriere - Sophienkirche

Schon vor 1733 hatte Friedemann zusammen mit seinem Vater mehrfach Sachsens Landeshauptstadt besucht. Laut Johann Nikolaus Forkel kündigte Vater Bach die gemeinsamen Besuche in der Dresdner Oper mit folgenden Worten an: »Friedemann, wollen wir nicht einmal wieder die schönen Dresdner Liederchen hören?« Auf diesen Ausflügen hatte Friedemann die beste Gelegenheit, das »Elb-Florenz« zu besichtigen, und vielleicht auch den einen oder anderen Musiker kennen zu lernen. Neben den Opernbesuchen konzertierte Vater Bach auch als Organist in Dresden, etwa am 14. September 1731 in der Sophienkirche. Der Organist dieser protestantischen Kirche, Christian Pezold, starb vermutlich Anfang Juni 1733. Unmittelbar darauf reichte Friedemann seine Bewerbung für dieses Amt ein. In seinem Schreiben vom 7. Juni, das er wohl mit Hilfe seines Vaters verfasst hatte, bat er um ein Probespiel, denn es gab noch andere konkurrenzfähige Bewerber für diesen Posten.

Silbermann-Orgel der Sophienkirche
Die Organistenstelle war ausgesprochen schlecht bezahlt. Zudem war der Dienst, der sich auf das Orgelspiel in den Gottesdiensten beschränkte, gewiss nicht besonders attraktiv. Anziehend wurde diese Stelle aber durch die Nähe zum Hof: Schon Pezold hatte eine zusätzliche Aufgabe als Organist dort innegehabt und alle Bewerber hofften natürlich, es ihm gleichtun zu können. Friedemann wurde zur Probe geladen, schlug seine Konkurrenten aus dem Feld und erhielt bereits einen Tag später seinen Vertrag. Am 1. August wurde ihm die Orgel  - vom Orgelbauer Gottfried Silbermann nach drei jähriger Arbeit 1720 fertig gestellt -  übergeben. Der gute Name seines Vaters wird wohl Friedemanns Bewerbung positiv beeinflusst haben.
Mit seinem spärlichen Jahresgehalt von knapp 73 Talern, wozu noch drei Fässer Bier gehörten (!), konnte der Bachsohn kaum zufrieden sein, besonders im Vergleich mit den 6000 Talern, die der Hofkapellmeister Johann Adolf Hasse jährlich verdiente. Seine Aufgabe bestand allerdings auch nur im Orgelspiel während der Gottesdienste, die anfangs regulär montags um acht Uhr stattfinden, ergänzt durch eine Vesperpredigt sonntags und die Vormittagspredigt an Sonn- und Feiertagen. Neben der Begleitung des Gemeindegesangs boten die Gottesdienste für Friedemann nur begrenzten Raum für freie Orgelstücke, mit denen er seinen späteren Ruf als erstklassiger Organist vielleicht schon zu dieser Zeit begründete.
Relief an der Gedenkstele in Berlin